...die einen Schuhmacher hat. Und so kann sich Miesbach freuen, denn hier hat im Dezember 2012 Schuhmachermeister Ralf Wieland seinen Laden mit Werkstätte eröffnet. Dort werden allerdings nicht nur Schuhe repariert.
Eines der ältesten Gewerbe der Welt
Sowieso ist ein Schumacher in erster Linie keiner, der Schuhe nur repariert. Das uralte Handwerk ist schon seit vorrömischer Zeit bezeugt und darauf spezialisiert, Schuhe nach Maß herzustellen. „Leider werden Schuhe heute meist als Massenware angeboten – wie die Füße klarkommen, spielt da erstmal keine Rolle.“ Kein Wunder, dass sich im Lauf des Lebens Fehlstellungen ergeben. Dann landet man als Kunde eben doch beim Schuhmacher, der die Schuhe so gestaltet, dass z.B. die orthopädischen Einlagen perfekt sitzen.
„Mir gefällt an meinem Beruf, dass er so vielseitig ist“, sagt Ralf Wieland, der sich die Räume in der Fraunhoferstraße 9 mit Christian Schmidl teilt. Und das ist gut so: Jeder hat ausreichend Platz, seinem Metier nachzugehen und sie ergänzen sich bestens, denn beiden ist nicht nur die Liebe zum Handwerk und zum Leder eigen, sondern auch derselbe Humor. Dabei ist Inhaber Ralf Wieland nicht nur der Ältere von beiden, er ist auch der Experte für Schuhe mit einem Meisterbrief aus dem Jahr 1996 – ausgestellt von der Handwerkskammer in Osnabrück, wo der geborene Göttinger seine Ausbildung mit dem Meistertitel im Schuhmacherhandwerk abschloss. Mehrere Jahre hat er anschließend im eigenen Laden in Göttingen gearbeitet, ehe von heute auf morgen Schluss war: „Dann zog ein Supermarkt auf die grüne Wiese und brachte einen Schnellschuster gleich mit. Mit dem Ergebnis, dass der Laden nicht mehr zu halten war.“ Eine weitere Enttäuschung brachte die gescheiterte Ehe, dann beschloss Ralf Wieland, einen Schlussstrich zu ziehen und neu anzufangen.
Neuanfang in Bayern
„Ich habe einfach deutschlandweit nach einer Anstellung gesucht und habe schließlich in Murnau etwas gefunden – da habe erst einmal den Atlas genommen und nachgesehen, wo das genau ist“, sagt er und schmunzelt. „Für mich war das praktisch schon Österreich…“
Von Murnau dort ging es dann ein paar Jahre später der Liebe wegen nach Miesbach. Und hier ist er nun seit 2012. Zuerst war er mit seinem Laden in der Kirchgasse ansässig, dann zog er in die Fraunhoferstraße 9 – nicht wissend, in welche historischen Zusammenhänge ihn der Zufall geführt hat. Denn die Fraunhoferstraße 9 in Miesbach ist nicht irgendeine Adresse…
Das Stöcklschusterhaus
Wir müssen zurückgehen in die Jahre 1769/71. Damals war im Miesbacher Land die Getreideernte drei Jahren hintereinander so schlecht ausgefallen, dass eine Hungersnot ausbrach. Zum Retter der Bürger wurde der junge Schuhmacher Marinus Maurus Wenk. Er war am 2. März 1726 als Sohn der Schusterfamilie Wenk auf die Welt gekommen, die zu den ältesten Familien rund um Miesbach zählte und seit 1523 das Schuhmacherhandwerk ausübte. Als die Gemeinde ihn bat, günstiges Getreide in Italien zu kaufen, reiste er mit dem ihm anvertrauten Geld nach Verona und brachte genug Getreide mit, um die Stadt zu retten.
Anschließend ging er für einige Zeit nach Paris und fertigte nach seiner Rückkehr die ersten Schuhe mit Stöckelabsätzen an. Als 1783 der Brand Miesbach vernichtete, zog der „Marinischuster“ mit der Werkstatt in ein Haus, das vielen alten Miesbachern noch als Stöcklschuster-Haus bekannt ist: Das Haus Nummer 9 in der Fraunhoferstraße.
Ein Fachmann
Und so werden nun heute wieder in der hellen Werkstatt Schuhe repariert und gepflegt, nach Maß hergestellt oder nach Bedarf individualisiert: „Natürlich kostet eine Neuanfertigung ihr Geld“, sagt Ralf Wieland, dem man die Freude am Umgang mit Schuhen sofort anmerkt, „aber Schuhe, die gut passen, sind das A und O für die Gesundheit der Gelenke und des Rückens.“ Sprichts und passt ein neues Stück Fersenleder in einen Schuh ein, dem man sein langes Leben ansieht. „Schauen Sie einmal“, erklärt Ralf Wieland, „wie das Oberleder aussieht. Hier auf dem Land putzen viele Leute ihre Schuhe mit Lederfett. Fett pflegt das Leder nicht, sondern verklebt es Leder. Leder ist ja eine Tierhaut, die nur mit der richtigen Pflege atmen und ihre Schönheit erhalten kann.“
Fantasie in Leder
Da unser Gespräch immer wieder durch die Kundinnen und Kunden unterbrochen wird, die Schuhe zur Reparatur oder zum Umarbeiten bringen, ist genug Zeit, um Christian Schmidl besser kennenzulernen. Der junge Mann bietet in seinem mittelalterlichen Hemd mit blitzenden Augen und langem Haar einen spannenden Anblick. Obwohl ich darauf gefasst bin, jemand Ungewöhnlichen kennenzulernen, bin ich über die Antwort auf meine Frage, wie er in die Werkstatt kam und was seine Aufgabe ist, doch verblüfft. Christian Schmidl ist aktiver LARPer und hat für sich verschiedene Persönlichkeiten erfunden, die er mit Hingabe und viel handwerklichem Geschick pflegt. Das Wort LARPer, so lerne ich, kommt vom englischen Life Action Role Playing und ist ein improvisiertes Life-Theater ohne Zuschauer. Die bekannteste LARP-Convention ist das Drachenfest. Häufig trifft man LARPer auf Mittelalterfesten.
Geballte Power
Von seiner intuitiven Meisterschaft im Umgang mit Leder kann sich jeder überzeugen, der am Laden vorbei geht: Im Schaufenster zwischen Haus 5 und 9 steht eine sehr beeindruckende Leder-Rüstung. „In dieser ersten Arbeit stecken zwei Jahre meines Lebens drin“, ist Christian Schmidl zurecht stolz auf das Gesamtkunstwerk. Wie nicht anders zu erwarten, ist auch sein Lebensweg nicht von der Stange: Geboren in München ist der gelernte Einzelhandelskaufmann nach einer Familienzeit in Nürnberg durch einen persönlichen Kontakt im kleinen Aurach gelandet. Hier hat der Vater eines Erstklässlers dann von Ralf Wieland gehört: „Ich habe in Aurach eine Schuh-Annahmestelle eingerichtet – als Service für die Kunden, die weiter draußen auf dem Land wohnen“, erklärt der engagierte Schumacher. Dort traf man sich dann „rein zufällig“, fand sich sympathisch und beschloss zunächst eine kurze Schnupper-Phase. Aus den vereinbarten zwei Tagen wurden zwei Wochen. „Als der Ralf nicht gleich zurückkam, habe ich erstmal den Laden umgeräumt. Jetzt haben wir mehr Verkaufsfläche, stimmts?“ Ralf Wieland muss zugeben, dass sich der Umbau gelohnt hat. Man merkt, dass sich hier zwei gefunden haben, die auf derselben Wellenlänge sind.
Leidenschaft für Leder
Die gemeinsame Liebe zum Naturmaterial Leder schlägt sich auch im Geschäftlichen nieder: „Wir sind in der Vorbereitung für das Ritterfest in Miesbach im August“, erzählen die beiden. Dort werden sie vieles anbieten, was die Menschen im Mittelalter aus Leder herstellten: Man kann ihnen bei Ihrer handwerklichen Arbeit vor Ort zusehen und auch manches kaufen, wie Gürtel und Zubehör, sehr schöne Armbänder, die man individuell aussuchen kann, Schwerthalter und Schwertscheiden, Rüstungsteile, Lederschnüre uvm. Vor allem wird gezeigt, dass mittelalterliche Schuhe das Gangbild nicht zerstört haben. Schon jetzt ist Christian Schmidl mit dem Färben des Ledes beschäftigt und man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie solches Tun im Mittelalter vor sich ging. Christian Schmidl schenkt mir ein wunderschönes blaues Armband, das sich warm um mein Handgelenk schließt. „Schöne Kombination“, lobt er…
Pflegetipps vom Profi
Auch Ralf Wieland entlässt mich mit einem Geschenk. Von ihm lerne ich, wie man Lederschuhe fachmännisch pflegt: Sie müssen erst einmal gründlich mit einem Spezialprodukt gereinigt werden. Dann reibt man sie mit hochwertiger Lederpflege ein und schiebt sie zum Trocknen auf einen Holz-Spanner. „Das Holz nimmt Feuchtigkeit auf, so kann das Leder auf die richtige Weise trocknen und wird wieder geschmeidig“, ist nur einer der guten Tipps, die man bei Ralf Wieland bekommt.
Das neue Wissen kommt daheim sofort meinen Schuhen und Taschen zugute, denn auch ich liebe Leder und behandele es schon aus Respekt vor den Tieren, von denen es stammt, sorgfältig.
Kontakt
Schuhmacherei Wieland
Fraunhoferstraße 9
83714 Miesbach
Tel.: 08025 9243224