Vermutlich wäre unser Städtchen nicht so lebenswert, wenn nicht so viele Menschen hier mit viel Herzblut und ehrenamtlich Dinge anpacken und bewegen würden, die uns allen zugute kommen. Einer von ihnen ist Martin Reents, der maßgeblich am Neubau des evangelischen Gemeindehauses beteiligt war. Stadtschreiberin Verena Wolf traf ihn zum Interview im Bunten Haus.
„Etwas hat sich verändert“, das ist mein erster Gedanke, als ich an diesem Montag im Mai 2024 das Bunte Haus betrete. Ich muss auch nicht lange nachdenken, was es ist, was das Bunte Haus heute, keine zwei Jahre nach seiner Eröffnung ausmacht: Es ist die Atmosphäre. Sie ist wohnlich, hell, einladend… Ein wenig so, als würde man zu lieben Freunden kommen, bei denen man sich schon immer wohlgefühlt hat. Dazu tragen die gemütlichen gelben Sessel im Hintergrund des Raums bei, die coole Wohnküche und vor allem das nette Lächeln, mit dem ich begrüßt werde. Ich sehe Martin Reents sofort. Er sitzt auf der langen Holzbank und hat schon Kuchen geholt. Nach wenigen Minuten sind wir mitten im Gespräch und ich lerne einen Mann kennen, den Kulturamtsleiterin Isabella Krobisch zurecht als Vordenker der evangelischen Kirchengemeinde bezeichnet.
Turbulente Anfänge
Martin Reents – groß, etwas unbändige Haare, blaue Augen – ist im ostfriesischen Aurich geboren, und ich erfahre, dass er tatsächlich nicht nur der Cousin von Henny Reents ist, eine der beliebtesten Fernseh-Kommissarinnen im Deutschen TV, sondern, dass auch Kulturjournalist und Literaturkritiker Edo Reents zur Familie gehört. Martin Reents hat es dagegen nach dem Abitur zum Studium der Naturwissenschaften in die damalige bundesdeutsche Hauptstadt Bonn gezogen. Den Hörsaal hat er allerdings schnell mit einem Wahlkampfbüro getauscht, als am 9. November 1989 die Mauer fiel. „Mir war klar, dass das passieren würde“, sagt Martin Reents. „Ich bin ein politischer Mensch und war schon als Jugendlicher überzeugt, dass ein solches menschenverachtendes System sich nicht ewig halten kann.“
Also hat er sich aufgemacht, ist nach Berlin gefahren und hat sich dort dem „Demokratischen Aufbruch“ angeschlossen, der noch ganz jungen politischen Gruppierung, deren später bekanntestes Mitglied Angela Merkel war.
„Ich war der erste „Wessi“, der sich dort eingebracht hat“, erzählt Martin Reents, damals ein junger Student von 22 Jahren. Und von nun an komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn mir wird klar, dass ich tatsächlich einem der wenigen Menschen gegenübersitze, die die deutsche Wende aktiv mitgestaltet haben.
Den eigenen Weg finden
Die nächsten zwei Jahre hat Martin Reents das Seine getan, die ehemalige DDR auf einen neuen Kurs zu bringen. Er hat für die erste frei gewählte Volkskammer der DDR und später für den Deutschen Bundestag gearbeitet, hat als Mitglied der ostdeutschen Verhandlungsdelegation „gegen“ Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag mitverhandelt, die Fusion des Demokratischen Aufbruchs mit der CDU begleitet und er war Mitbewohner in der legendären „Kommune mit Niveau“ von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in Dresden, ehe er sein Studium in Bonn wiederaufnahm. Da war Martin Reents noch keine 25 Jahre alt.
„Ich denke, dass mich Abenteuer interessieren“, sagt er, als er auf diese erste Phase seines Lebens zurückblickt. Nachdem ich weitere Stationen seines Lebens kennenlernen werde, bin ich überzeugt, dass er zu den Menschen gehört, die mit großer Freude arbeiten. Es macht ihm Spaß, sich zu engagieren und Ziele zu erreichen. Deshalb war er auch genau der richtige, um bei der legendären Beratungsgesellschaft McKinsey Karriere zu machen.
Bausteine einer Karriere
„Aufgrund meiner Physikkenntnisse bin ich bei McKinsey zum Mann für die Beratung der Firmen geworden, die damals in der Halbleitertechnik gearbeitet haben“, erinnert sich Martin Reents. Da diese Technik in jedem Chip steckt, hat Martin Reents unter anderem Siemens beraten, war folglich weltweit unterwegs und hat dem Bereich zu großen Erfolgen verholfen.
Zudem war er an der Sanierung von Airbus beteiligt und hat unter anderem für ein Jahr mit dem Riesenprojekt „Stuttgart 21“ gerungen und eine Budgeterhöhung durchgesetzt, die es der Bahn ermöglicht hat, mit einem vernünftigen Finanzierungsrahmen zu rechnen.
„Im Grunde habe ich jedoch immer mit der Selbstständigkeit geliebäugelt“, sagt Martin Reents, der zu den wenigen Beratern gehört, die sich im Job nicht komplett aufgerieben haben, sondern der in dieser intensiven Berufsphase auch ein glückliches Privatleben aufgebaut hat. Seine Ehefrau, eine Anwältin, war dann auch der Grund für seinen Umzug nach Miesbach.
Nach der Zeit bei McKinsey hat Martin Reents dann drei Start-Ups gegründet, hat alles erfolgreich mit Risikokapital finanziert, zwei der Firmen vor ein paar Jahren verkauft und ist in der dritten nur noch im Aufsichtsrat tätig.
Eine Vision
Natürlich interessiert mich nun, wie ein solcher Mann zum Wegbereiter des evangelischen Gemeindehauses wurde. „Im Grunde ist es einfach“, sagt Martin Reents und lächelt. „Ich bin schon immer überzeugtes Mitglied der evangelischen Gemeinde gewesen. Ich glaube, es war bei einem meiner Geburtstage, dass ich mit Pfarrer Erwin Sergel über ein neues Stuhllager sprach.“
Nach dem Gespräch hat Martin Reents angefangen, sich Gedanken darüber zu machen, warum die Stühle ständig im Weg waren. Schnell fand er heraus, dass nicht die Stühle das Problem waren, sondern dass das Gemeindehaus schlicht zu klein geworden war. Ihm war rasch klar, dass auch das Gemeindezentrum in Hausham zu klein war, um eine Lösung zu bieten. Nachdem nach langem und zähem Ringen Hausham aufgegeben wurde, konnten die Planungen beginnen: „Da war sehr, sehr hilfreich, dass Jens Zangenfeind der evangelischen Kirchengemeinde vor Ort den Bürgersaal angeboten hat. Auf dieser Basis konnten wir in Miesbach die Veränderung planen.“ Auf 150 Zetteln stand schließlich all das, was das neue Haus können musste, das 2022 eingeweiht wurde.
Viel Leben fürs Bunte Haus
„Seither ist es unsere Aufgabe, das Haus so lebendig zu gestalten wie möglich. Wir haben viel ausprobiert und uns auch Gedanken zum Namen gemacht.“ Dass nun das Bunte Haus auf dem besten Weg ist, ein Treffpunkt für ganz Miesbach zu werden, freut Martin Reents, denn es ist auch eines seiner Herzensprojekte, das die Miesbacher begeistert: Das Inklusions-Projekt CAFE LILA ist zu einem beliebten Treffpunkt geworden. „Die Idee war, Barrieren zu überwinden – nicht nur die der körperlichen Behinderung. Barrieren können zum Beispiel das Gefühl des Ausgeschlossensein sein.“ Und wie zur Bestätigung sehe ich in diesem Moment draußen eine junge Afrikanerin mit sorgsam geflochtenen Zöpfen und hipper bunter Kleidung. Sie zögert jedoch nur kurz, dann tritt sie in den Raum und schon wird sie mit freundlichem Winken von Petra begrüßt, die gerade Gastgeberin im Bunten Haus ist. Ein scheues Lächeln wird getauscht, dann setzt sich die junge Frau mit ihren Kursunterlagen an einen der freien Tische - unbehelligt und doch willkommen und aufgenommen.
Jeder ist willkommen
„Alles ist hier kostenlos und das gilt in erster Linie für die Gruppen, die sich hier treffen – seien sie ehrenamtlich, sozial oder kreativ unterwegs. Der ADFC, der BUND Naturschutz Kreisgruppe Miesbach… insgesamt sind es 66 Gruppen und Vereine“, zählt Martin Reents auf und schickt gleich noch eine Zahl hinterher: „Früher waren pro Jahr 6.000 Besucher im Gemeindehaus. Im Jahr 2023 waren es 22.000.“ Wer also Lust hat, sich im Bunten Haus zu treffen zum Kaffeetrinken, Spiele spielen, Kickern, Basteln und vielem mehr – der ist immer willkommen.
„Mir war wichtig, dass hierher auch Menschen kommen, die gar keinen kirchlichen Bezug haben“, fasst Martin Reents den offenen Charakter des neuen Gemeindehauses zusammen.
Und zum Schluss erzählt er noch ein tolles Beispiel für das Funktionieren dieser Begegnungsstätte, das Pfarrer Erwin Sergel beobachtet hat: „Wenn sich hier der Chor 65+ trifft, dann war das in der Vergangenheit so, dass nach der Probe alle heimgegangen sind. Heute bleiben die Sängerinnen und Sänger anschließend noch hier und unterhalten sich. Wenn dann gleichzeitig noch eine andere Gruppe da ist, dann mischen sich die Besucher und dann entsteht etwas Neues. Eine gute Gemeinschaft.“
Wer Teil dieser Gemeinschaft werden will, sollte einfach einmal reinschauen. Geöffnet ist das Haus täglich von 9.00 bis 18.Uhr – und zu jederzeit ist jemand vom Gastgeber-Team anwesend und heißt die Ankömmlinge herzlich willkommen. Und wenn man Glück hat, kann man zuhören, wenn Kantorin Andrea Wehrmann auf der Orgel spielt.