Wo Menschen beieinander leben, kommt es zu Verwerfungen, zu Auseinandersetzungen und im schlimmsten Fall mit drastischen Folgen für Körper und Seele.
Auch im so romantisch am Rande der Alpen gelegenen Miesbach ist das nicht anders. Die Stadtgeschichte berichtet uns von einigen besonderen Vorkommnissen – doch soviel schon vorab: vor einem großen Grauen blieb unsere kleine Stadt bisher verschont.
Entscheidungen über Leben und Tod
Doch nun erst einmal ein Blick zurück in die über 900-jährige Geschichte Miesbachs, um die Zusammenhänge verstehen zu können. Nach heutigem Kenntnisstand ist Miesbach bereits als Verwaltungssitz entstanden. Damit war bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auch die Justiz verbunden. Von einem „Gericht“ erfahren wir aber erst 1367 in einer Urkunde – aber mit dem Vermerk „alz daz von alters her chomen ist“. Das Gericht lag in der Hand der Ortsherrschaft, denn als Hauptort der reichsunmittelbaren Herrschaft Waldeck (der späteren Grafschaft Hohenwaldeck) war Miesbach bis 1734 nicht Teil Bayerns. Die Inhaber dieses Gebietes, die Waldecker, gefolgt von den Höhenrainern, den Sandizellern und zuletzt den Maxlrainern, durften die Blutsgerichtsbarkeit (Hochgericht) ausüben, also über Leben und Tod entscheiden.
Der erste überlieferte Galgen stand angeblich auf dem Harzberg und war damit weithin sichtbar über Miesbach. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde diese Richtstätte dann an die seitdem nun danach benannte Galgenleite verlegt. Dieses Trockental nördlich von Miesbach, durch das die Straße nach Weyarn führt, kennzeichnete die Grenze Hohenwaldecks. Hinrichtungsstätten wählte man gerne an Zufahrtsstraßen und Grenzposten. Damit wurde signalisiert: Hier wird Recht gesprochen – und wenn es sein soll, mit blutiger Konsequenz.
Die letzte öffentliche Hinrichtung fand aber auf dem Oberen Markt (Stadtplatz) statt. Es war das Jahr 1810, als der Zimmermann Philipp Puchner mit dem Schwert hingerichtet wurde. Er hatte wegen seines „hitzigen und raschen Temperaments“ seine Frau ermordet. Das hierbei benutzte Scharfrichterschwert war noch das alte der Maxlrainer. Es wurde auf Schloss Wallenburg aufbewahrt; leider ist es später nach Russland verkauft worden.
Als letzte Hinrichtung – nun aber nicht-öffentlich – gilt die standrechtliche Erschießung des Rotgardisten Ernst Lacher im April 1919. Diese fand im Hof des Amtsgerichtsgefängnisses an der Rosenheimer Straße statt. Es ist dies das heutige Rückgebäude des Amtsgerichts, das noch bis 1969 als Gefängnis diente.
Zeitweise galt es als schönste Haftanstalt Bayerns, wegen seiner sonnigen und luftigen Lage und seiner schönen Aussicht – halt mit schwedischen Gardinen vor dem Fenster. Trotzdem gefiel es nicht allen an diesem Ort, denn mehrmals kam es zu Ausbruchsversuchen. Das mag natürlich andere Gründe haben.
Große Staatsverbrechen
Doch zurück zu den Rotgardisten. Sie hatten 1919 versucht in Miesbach eine Räteregierung zu errichten. Es war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, mit seinen politischen Umwälzungen und gesellschaftlichen Verwerfungen. Seitdem im 19. Jahrhundert Industriebetriebe wie das Bergwerk in Miesbach und im nahen Hausham sowie die Papierfabriken in Müller am Baum, Neumühle und Thalham errichtet worden waren, hatte sich eine respektable Arbeiterschaft gebildet. In ihrem Umfeld waren sozialistische Ideen populär und die Räteregierung fand Unterstützung. Entsprechend hart kam danach die Reaktion der bürgerlichen Kräfte und später der nationalistischen Parteien. Miesbach sollte im Nationalsozialismus eine gesellschaftliche Spaltung erfahren: Einerseits starker Zulauf zur NSDAP, andererseits zahlreiche NS-Verfolgte und ins Abseits gedrängte, von denen allerdings gottlob kaum einer mit dem Leben bezahlen musste. Doch sollte man die beiden Miesbacherinnen, welche Opfer von Euthanasie wurden, nicht vergessen!
Kleine Verfehlungen
Aber zurück vom großen Staatsverbrechen zu den kleinen Verfehlungen, Untugenden und Straftaten vor Ort. Die Miesbacher Kriminalstatistik ist ja grundsätzlich nicht anders geartet als in anderen vergleichbaren deutschen Orten. Auch wenn das nicht immer so war. So waren bis in das frühe 20. Jahrhundert Raufereien sehr verbreitet. Gerade in Wirtshäusern wurde gerne gerauft, wobei oftmals auch ein Schlagring oder ein Messer zur Hand war. In den allermeisten Fällen ging es ohne Todesopfer ab. Aber das Temperament war offenbar auch mit dem Alkoholgenuss verbunden. Ein altes Phänomen.
Selbstjustiz
In alten Zeiten gab es einen besonderen Brauch in der Miesbacher Gegend, das Haberfeldtreiben. Im sogenannten Habererbund prangerten vereinigte Männer dabei in einer nächtlichen Aktion die Vergehen Einzelner an – hart an der Grenze zur Selbstjustiz, weswegen das Habererwesen vom Staat juristisch verfolgt wurde. 1893 gipfelte dies in der legendären Habererschlacht auf dem heutigen Kreuzberg in Miesbach. Damals konnte die Polizei dem Treiben ein Ende bereiten. Am Schwabhaus in der Kirchgasse erinnert noch ein schönes Fresko an diese Zeit.
Benachbart ist hier das Alte Schulhaus, ein nach dem großen Ortsbrand von 1783 neu errichteter Bau. An seinem Vorgänger befand sich der Pranger Miesbachs. Im Heimatmuseum befinden sich noch zwei Halsgeigen, mit denen Delinquenten am Pranger befestigt wurden. Sie wurden damit dem Spott ihrer Mitbürger freigegeben. Ein Strafmaß, dass in einer Gesellschaft in der noch jeder jeden kannte, zutiefst demütigend gewesen sein muss.
In der nördlichen Altstadt befindet sich die alte Fronfeste (1786/87). Bis 1901 war hier das Miesbacher Gefängnis untergebracht. Zu den Insassen gehört auch die bekannte Doctorbäuerin Amalie Hohenester (1827-1878). Sie stammte aus einer Familie, welche als Diebesbande berüchtigt war und mit der sie in Miesbach eingesessen hatte. Die Hohenester erwarb sich später einen Ruf als Heilkundige und zählte etwa Kaiserin Elisabeth von Österreich (Sissi) zu ihren Patienten. Die alte Fronfeste beherbergte übrigens in der Nachkriegszeit eine Gaststätte mit dem gruseligen Namen „Genickschussbar“ – makaber!
Nicht in Miesbach einsitzen musste dagegen der Wasenmeister Joseph Härtl, der seine Gattin im Jahr 1801 ermordete. In Unterlagen der Pfarrei Miesbach wird er daher als „Erzbösewicht“ bezeichnet. Da damals offenbar ein Henker fehlte, wurde er nach München überstellt, wo er vom Leben zum Tode befördert wurde.
Der größte Kriminalfall unserer Geschichte, ist ein Raubmord, welcher 1912 begangen wurde. Opfer wurde zudem ausgerechnet ein Bürgermeister, Balthasar Stielner. Der Landwirt vom Stadlberg war seit 1882 Bürgermeister von Parsberg, das ja erst 1978 nach Miesbach eingemeindet werden sollte. Stielner war nach Besuch des Gottesdienstes in der Pfarrkirche Parsberg und einem kurzen Aufenthalt im Dorfwirt zu Fuß nach Hause aufgebrochen. Als er ein Waldstück durchquerte, schlug ihn ein Unbekannter nieder und raubte ihn aus. Der schwer Verletzte konnte sich zwar noch nach Hause schleppen, starb aber wenig später. Der Täter wurde trotz intensiver Suche nie gefunden.
Häufiger sind natürlich und gottseidank die kleineren Verbrechen. Die meisten Fälle sind ja lange vergessen und vielleicht auch den Unbillen ihrer Zeit geschuldet, wie etwa Diebstahl von Kohlen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die ersten Jahre nach Kriegsende waren übrigens insgesamt eine Hochzeit der Kriminalität. Es herrschte allgemeine Armut und große seelische Not.
Kuriose Fälle
Kuriose Fälle sind aber immer wieder zu finden. So erzählen sich ältere Miesbacher noch von der Brandnacht im Jahr 1953, als der Gasthof Kreiderer am Stadtplatz in Flammen stand (heute Stadtplatz 2). Eine Nachbarin hatte das Gebäude angezündet. Ein weiteres Mal war die Unglückliche auffällig geworden, als sie bei einem anderen Nachbarn das noch in offenem Fass feilgebotene Sauerkraut vergiftete. Gottlob war die Dosis so gering, dass es nur zu Durchfallerscheinungen kam. Die Täterin wurde aber in der Folge wegen Geisteskrankheit eingesperrt.
Ein weiterer kurioser Fall ist das Dreimäderlhaus, so genannt wegen der dort ansässigen drei Frauen, welche sich für Geld prostituierten. Es war das Jahr 1924, kurz nach der großen Inflation und Wohlstand war für die meisten ein Fremdwort, Geldbeschaffung auf unkonventionelle Art wohl eine zu große Versuchung. Legendär ist der Fall, dass sich dort einmal Vater und Sohn bei einem „Freundschaftsbesuch“ trafen – wie peinlich! Ein Gedicht aus unbekannter Hand besingt das rasche Ende dieses an unbekanntem Ort liegende Etablissement:
„Allzufrüh leuchtete die Sonne / Hinein in das finstere Loch. / Viele stehen jetzt verärgert, / Denn sie wollten alle noch. / Gar is jetzt und Schluß und Aus, / Nun, leb wohl, Dreimäderlhaus!“