Lebzelterberg, © Stadt Miesbach
Elisabeth Neuhäusler, © Selina Benda

Miesbach mit Handicap

Inklusion – vielen bereits ein Begriff, doch dieser sollte auch mit Inhalt gefüllt und nicht nur als schmückender Stempel benutzt werden. Wie steht es um die Inklusion in der Stadt Miesbach? Wir werfen einen Blick darauf, wo es noch Nachbesserungsbedarf gibt.

In einer inklusiven Gesellschaft ist jeder Mensch ein Teil dieser. Seit 1944 ist dies auch im Grundgesetz verankert und viele weitere Gesetze folgten, um allen Menschen die Selbstbestimmung, Teilhabe und Gleichstellung in der Gesellschaft zu ermöglichen. In der Theorie alles nachvollziehbar festgehalten. In der Praxis ist zwar schon einiges geschehen, doch darf sich an einigen Stellen noch etwas verändern. So auch in der Stadt Miesbach. „Ich bin eine leidenschaftliche Verfechterin für Menschen mit Beeinträchtigung“, sagt Elisabeth Neuhäusler. Seit 2021 ist sie deshalb Behindertenbeauftragte der Stadt und setzt sich für deren Bedarfe ein. „In Miesbach passiert schon was“, betont sie, „aber meines Erachtens zu wenig“.

 

Bauliche Hindernisse

Grundsätzlich ist bereits die Topographie der Kreisstadt, mit ihren drei Ebenen, einigen Treppen und vielen steilen Auf- und Abgängen wie etwa am Lebzelterberg, nicht optimal. Daran kann jedoch nicht viel geändert werden. Was jedoch geändert werden kann, sind laut der Behindertenbeauftragten vor allem kleine bauliche Veränderungen, die jedoch eine Menge bewirken würden. Konkrete Beispiele seien etwa Treppengeländer. Diese sollten laut Elisabeth Neuhäusler immer beidseits vorhanden, bereits ein gutes Stück vor der ersten Stufe beginnen und ebenso ein Stück nach der letzten Stufe erst aufhören. Auch eine farbliche Markierung der ersten und letzten Stufe wäre notwendig, um diese für Menschen mit Seheinschränkungen deutlicher erkennbar zu machen.

 

Inklusionsgedanke vor Design

„Die Ton in Ton Gestaltung in öffentlichen Gebäuden ist ein massives Problem“, erklärt sie. Für einen sehbehinderten Menschen sind Türschilder und Türrahmen, Lichtschalter, Klingeln und Sprechanlagen oft überhaupt nicht erkennbar, da sie in dezenten Farben gehalten sind. „Diese müssen sich kontrastreich von der Wandfarbe absetzen“, sagt Elisabeth Neuhäusler. Die Schriften auf Schildern seien in vielen öffentlichen Gebäuden viel zu klein, diese wären auch für ältere Menschen schwer lesbar. „Unser Rathaus ist da leider ein Paradebeispiel. Das Design sollte da an zweiter Stelle stehen.“ Große Probleme haben Menschen mit Einschränkungen grundsätzlich mit Glastüren, da sie diese nicht erkennen. Diese könnten ebenfalls mit Folien in knalligen Farben und mit großen Symbolen gekennzeichnet werden. „Das sind ganz pragmatische und schnelle Lösungen“, erklärt die Behindertenbeauftragte. Um Inklusion wirklich möglich zu machen, „dürfte das meines Erachtens keine Geldfrage sein.“

 

Kleine Verbesserungen, große Wirkung

Auch was die Infrastruktur in der Stadt betrifft, gibt es noch an einigen Stellen Nachbesserungsbedarf. Das fängt beim Zustand der Straßen und Gehwege an und hört beim Nachrüsten von Ampeln auf. Fehlende Steine im Kopfsteinpflaster - welches zwar schön, aber für Menschen etwa mit Rollatoren, Kinderwägen oder Blindenstock absolut unpraktisch ist - oder große Schlaglöcher in den Straßen sind da nur der Anfang. „Da ist nicht immer eine große und umfängliche Renovierung nötig, das kann doch einfach, schnell und punktuell behoben werden“, findet Elisabeth Neuhäusler. Auch Verkehrsschilder und Begrenzungspfosten die im Weg stehen - wie etwa am Zebrastreifen vor dem Kulturamt - stellen nicht nur ein Gefahrenrisiko dar, sondern zwingen die Menschen mit Beeinträchtigung dazu, immer andere und oft längere Umwege zu nehmen. „Inklusion wäre in dem Fall genau das Gegenteil davon“, sagt die Behindertenbeauftragte.

 

Schon vorab Gedanken machen

Ein Problem, mit welchem Stefan Kral immer wieder konfrontiert wird, sind die zu hohen Bordsteinkanten überall in der Stadt. Der IT-Mitarbeiter im Rathaus sitzt bereits sein ganzes Leben im Rollstuhl, ist sportlich sehr aktiv und kann sich in vielen Situationen gut selbst helfen. „Aber bei den Bordsteinen und Gehwegen muss ich mir oft Gedanken machen, wie ich jetzt fahre“, sagt er. Zwar seien bereits ein paar ausgebessert worden, aber auch bei Renovierungen und Neubauten sollten abgesenkte und farblich gekennzeichnete Bordsteine gleich mitbedacht werden, findet Elisabeth Neuhäusler. Blindenleitsysteme an allen Übergängen, Zebrastreifen und in öffentlichen Gebäuden sowie barrierefreie Ampeln seien unabdingbar. Zwar werden die Behindertenbeauftragte und Stefan Kral bei Baumaßnahmen manchmal zu Rate gezogen, jedoch erst, wenn die Planung schon besteht und Änderungen meistens nicht mehr möglich sind. „Ich stehe immer für Rückfragen von Planern und Behörden zur Verfügung und auch für die Bürger, denen Dinge in der Stadt auffallen“, betont die Behindertenbeauftragte.

 

Bewusstsein schaffen

Insgesamt sehe sie auf jeden Fall die Bereitschaft, die Dinge richtig zu machen, „jedoch fehlt es an Sensibilität und Bewusstsein“, sagt sie. Egal ob sie mit ihrem Sohn mit Beeinträchtigung oder ihren altersbedingt eingeschränkten Eltern unterwegs ist – wo sie auf ein Problem stößt, spricht sie dieses an. „Wenn in der Behindertentoilette zum Beispiel ein Tretmülleimer steht, den kann doch niemand bedienen der so eine Toilette benutzt.“ Ein Sehbehinderter berichtete ihr, dass die Toilettenschilder in den Gastronomien oft schwer erkennbar seien. „Die lustigen und kreativen Figuren auf diesen Schildern sind zwar optisch ansprechend, aber für eingeschränkte Personen ist oft nicht erkennbar, dass es sich um ein WC-Schild handelt.“

Die meisten Inhaber wären über diese Hinweise dankbar, erklärt sie. Für Rollstuhlfahrer wie Stefan Kral sind zum Beispiel oft die Eingänge der Gastronomien und Geschäfte ein Problem. „Da muss man sich dann vorab informieren, ob man überhaupt reinkommt“, erklärt er. Zwar bekomme er persönlich auch oft Hilfe angeboten, „vor allem von jüngeren Leuten und Schülern“ wie er sagt, aber das würde nicht immer das Problem beheben. Nicht vorhandene, zu steile oder kurze Rampen oder solche, die nicht einmal zum Eingang eines Gebäudes führen – „es ist unfassbar, was es so alles gibt“, sagt Elisabeth Neuhäusler.

 

Eine bunte Gesellschaft

Inklusion bedeutet so viel mehr als bauliche Hürden abzubauen. „Das Thema Inklusion darf nicht zu einem Modewort deklariert werden“, betont Elisabeth Neuhäusler. Es sind gesellschaftliche Strukturen die sich noch weiter entwickeln müssen, um wirklich eine inklusive Gemeinschaft zu sein. „Ich würde mir wünschen, dass die Menschen aufmerksamer werden, wieder ein Gefühl dafür bekommen, was der andere braucht“, sagt die Behindertenbeauftragte. Die Leute sollten sich trauen Beeinträchtigte anzusprechen. „Auch wenn man keine Hilfe braucht kommt man dadurch aber ins Gespräch und die Menschen machen sich zukünftig über manche Dinge mehr Gedanken, was ihnen bisher vielleicht noch nicht klar war“, sagt Stefan Kral. „Der Austausch ist beim Thema Inklusion so wichtig. Wir müssen lernen und verstehen, dass auch Menschen mit Behinderungen Auf und Abs im Leben haben und vielleicht findet man sogar Gemeinsamkeiten“, betont Elisabeth Neuhäusler. Alle würden davon profitieren, wenn Menschen mit Beeinträchtigung Teil der Gesellschaft sind. „Und die sollte so bunt wie möglich sein.“

 

Elisabeth Neuhäusler steht für Informationen, Rückfragen und Anliegen rund um das Thema Inklusion und Barrierefreiheit – auch für Meldungen über Problemstellen in der Stadt Miesbach - zur Verfügung.

 

Kontakt

Elisabeth Neuhäusler

Tel.: 0160 8309981

 

Text: Selina Benda
Fotos: Selina Benda, Kulturamt Miesbach, Stadt Miesbach, Isabella Krobisch

Impressionen

Lebzelterberg mit Rollstuhlfahrer, © Isabella Krobisch
Lebzelterberg mit Rollstuhlfahrer

© Isabella Krobisch

Stefan Kral im Waitzinger Keller, © Kulturamt
Stefan Kral im Waitzinger Keller

© Kulturamt

Piktogramm Barrierefreiheit, © Kulturamt
Piktogramm Barrierefreiheit

© Kulturamt

Elisabeth Neuhäusler, © Selina Benda
Elisabeth Neuhäusler

© Selina Benda

Stefan Kral im Waitzinger Keller, © Kulturamt
Stefan Kral im Waitzinger Keller

© Kulturamt

Lebzelterberg, © Stadt Miesbach
Lebzelterberg

© Stadt Miesbach