Sie kamen bei Nacht. Leise und mit rußgeschwärzten Gesichtern fanden sie sich zusammen, dann weckten sie mit Schüssen und rauem Lärm die Bewohner und nahmen einen Schuldigen aufs Korn. Nach einem bühnenreifen Auftritt verschwanden sie so heimlich, wie sie gekommen kommen waren – kein Wunder, dass sich um die Haberer viele Mythen ranken.
Ein überaus reiches Brauchgeschehen
Doch wie war es wirklich – damals im 18. Jahrhundert und später –, wenn die Haberer kamen? Viele Fragen stellen sich, wenn man dem Haberfeldtreiben auf den Grund geht. Warum gab es den Brauch nur im Südosten von München? Wer waren die Haberer und wie suchten sie ihre Opfer aus? Und was sollte das Ganze sein: Volksjustiz oder eine große Gaudi?
All diesen spannenden Fragen und Aspekten geht die aktuelle Ausstellung nach, die im Kulturzentrum Waitzinger Keller vom 27. März bis 29. April 2023 zum Haberfeldtreiben gezeigt wird.
Eine großartige Idee – ideenreich umgesetzt
„Es war eine Idee des Miesbachers Hermann Kraus, Haberfeldtreiben und modernen Shitstorm gegenüberzustellen“, sagt Amelie Knaus, die die Projektleitung für die Ausstellung innehat und seit April 2022 stellvertretende Leitung des Waitzinger Kellers ist.
„Das Haberfeldtreiben finde ich einen spannenden Aspekt in der bayerischen Geschichte, denn in der Geschichtsforschung wird dieses Brauchtum, im Vergleich zu anderen, sehr spärlich behandelt. Umso mehr war ich als leidenschaftliche Historikerin der Bayerischen Geschichte von der Idee begeistert, mich näher mit diesem Thema beschäftigen zu können. Dass der thematische Bogen der Ausstellung mit der Thematik des Shitstorms im Netz auch noch in die heutige Zeit gespannt wird, zeigt die Aktualität der Ausstellung.“
Schnell war auch klar, dass es um das Haberfeldtreiben selbst viele Rätsel gibt. Um diese, wenn möglich, aufzudecken, machten sich unsere Historiker ans Werk.
Eine wichtige Rolle
Alexander Langheiter durchforstete den Bestand in den gut gefüllten Regalen des Heimatmuseums, und so kann man neben der Büste eines unbekannten Haberermeisters (um 1900) und einer Schand- oder Halsgeige auch das Gemälde bewundern, in dem Alois Dirnberger 1872 wohl als Augenzeuge ein Haberfeldtreiben am Stadlberg bei Miesbach für immer verewigt hat.
„Stadt und Landkreis Miesbach spielen ja in der Geschichte des Haberfeldtreibens eine überaus wichtige Rolle“, sagt Museums-Kustos Alexander Langheiter. „Innerhalb des Mangfallbogens und die Leitzach aufwärts fanden wohl die ersten Haberfeldtreiben statt. Und nach dem verratenen Treiben in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 1893 in Miesbach griff die königliche Justiz hart durch und machte dem Treiben ein Ende.“
Geschichte und Geschichten aus erster Hand
Den mühevollsten Part übernahm Barbara Wank. Sie tauchte tief ins Miesbacher Archiv ein, um Spuren der Haberer zu finden. Zudem las sie neben der neuesten Literatur auch die Grundsatzwerke und die vorhandenen Zeitungsartikel über diesen archaisch anmutenden Rügebrauch. All diese Informationen vereinte sie in einer Broschüre, die auf 97 Seiten angewachsen ist und Staunenswertes zu Tage bringt.
„Vor allem die Doktorarbeit von Elmar Schieder ist eine wahre Fundgrube“, erzählt Barbara Wank. „Er räumt mit so mancher lieb gewordenen Vorstellung auf. Das war für mich als studierte Volkskundlerin die größte Überraschung bei dieser Arbeit: So vieles, was wir fest im Kopf haben, stimmt einfach nicht. Deshalb heißt die Ausstellung auch „Haberfeldtreiben - Fakten und Mythos.“
Lieb Gewonnenes neu denken
Im Gespräch erklärt Barbara Wank, was am traditionellen Bild des Haberfeldtreibens vor allem nicht stimmt: „Das Wichtigste ist für mich, dass man immer das Bild sieht, wie die Haberer eine Frau oder einen Mann verhöhnen, die vor dem Haus stehen, in dem sie leben. Das war aber ganz anders: Vor allem ab dem 19. Jahrhundert haben sich die Haberer an einem sicheren Ort getroffen, der meist ein Stück außerhalb der betreffenden Ansiedlung lag. Dort wurden dann die Anschuldigungen in Versform verlesen und viel Lärm gemacht. Und es ist auch nicht richtig, dass die Haberer immer alteingesessene Bauern waren. Im Gegenteil: Die meisten waren Bauernsöhne, Tagelöhner und Knechte!“
Große Spannung über vier Ebenen
Diesen und viele andere spannende und überraschende Aspekte kann man im Waitzinger Keller unmittelbar erleben. „Die Ausstellung findet nicht nur im Foyer Ost statt“, erklärt Amelie Knaus das multiple Geschehen. „Wir zeigen das Haberfeldtreiben auf mehreren Stockwerken.
- In der Lüftungszentrale, die vom Treppenhaus zugänglich ist, fängt eine Installation von Sibylle Kobus und Sabine Köhl das Unheimliche eines Haberfeldtreibens in einem mystisch-akustischen Erlebnis ein.
- Im zweiten Untergeschoss gibt es eine Videoinstallation zum heutigen Shitstorm im Netz, den man als eine topmoderne Form des Haberfeldtreibens betrachten kann. Viola Melzner hat hier die wissenschaftliche Arbeit und Aufbereitung geleistet.
- Und im ersten Untergeschoss zeigen wir Material des Vereins „D`Haberer Miesbach e.V.“ – das ist wie eine Zeitreise, sehr atmosphärisch. Bilder vom letzten großen Haberfeldtreiben aus dem Jahr 2014 des Vereins hängen im Treppenabgang. Die Fotos stammen von Andreas Leder und Florian Bachmeier.
- Dann kommt im Foyer Ost der Geschichtsteil mit Exponaten und Texttafeln.“
Shitstorm damals und heute
„Stadtarchiv und Heimatmuseum Miesbach besitzen den wohl größten und wertvollsten Bestand zum Thema Haberfeldtreiben, den es gibt“, meint Alexander Langheiter. „Er kann nun erstmals gezeigt werden.“
Deshalb ist die Ausstellung nicht nur eine große „Haberer-Schau“. Sie wirft anhand von umfangreichem historischem Material auch einen wahren Blick auf die Lebensumstände der kleinen Leute, die sicher ihre Freude am „Derblecken“ von einflussreichen Persönlichkeiten wie Pfarrern, aber auch Wirten hatten und die sich in der Rolle von „Volkstribunen“ gefielen.
Wer sich also für ihre Verkleidung, die verwendeten Musikinstrumente oder die witzig-bedrohlichen Verse begeistert, oder wer mehr über diesen „Geheimbund“ und seine Beweggründe wissen will, wird in dieser Ausstellung fündig werden.
Und auf alle, die sich für die Geschichte des Haberfeldtreibens von der einfachen Bloßstellung eines Mädchens (1716 in Vagen) bis zum Großevent mit 300 Teilnehmern interessieren, wartet eine sauber konzipierte, äußerst abwechslungsreiche Ausstellung. Die grafische Gestaltung von Texttafeln, Plakaten, Broschüre und Fotos übernahm das Studio Kaufmann.
Haberfeldtreiben miterleben:
Zu Ehren der Ausstellung findet am Eröffnungstag, den 24. März 2023 um 20:00 Uhr, ausgehend vom Theaterstadel am Waitzinger Park ein Haberfeldtreiben statt. Anschließend geht es zur offiziellen Eröffnung in den Waitzinger Keller.
Einen Monat später, am 24. April 2023, liest um 19:00 Uhr Autor Elmar Schieder aus seinem neuen Buch zum Haberfeldtreiben.
Die Ausstellung ist täglich vom 27. März bis 29. April zu den üblichen Öffnungszeiten des Waitzinger Kellers (Mo – Fr. 9:00 Uhr – 13:00 Uhr und Do von 14:00 Uhr – 16:00 Uhr) und bei Veranstaltungen geöffnet.
Kostenlose Führungen finden am 30.März, 31.März, 02. April, 16. April, 20. April und 29. April jeweils um 14:00 Uhr statt.