Gedanken zum Heiligen Abend
Wir alle kennen die Weihnachtsgeschichte als eine Erzählung von Hoffnung. Aber gilt sie auch für uns?
Was damals geschah
Ein Paar auf der Suche nach einer Bleibe. Unverhofft hat sie der Aufruf von Kaiser Augustus, an der Volkszählung in Palästina teilzunehmen, aus ihren Plänen gerissen. Statt einer Geburt im vertrauten Zuhause und mit Unterstützung von Mutter Anna entgegenzusehen, befindet sich die junge Maria, hochschwanger, auf dem Rücken eines Esels und auf dem Weg nach Nazaret – wo sie freilich nie ankommen werden. Unterwegs, in Bethlehem, müssen sie und ihr Mann Josef Halt machen, weil die Wehen einsetzen. Wie schwierig gestaltet sich die Suche nach der Herberge! Das Ende ist ein Stall draußen vor der Stadt. Stroh, eine Krippe, Ochs und Esel. Dort bringt Maria ihr Kind zur Welt. Hirten sind die Ersten, die vom Wunder angezogen, das Kind begrüßen. Ein Stern steht am Himmel. Ein Engel spricht „Fürchtet euch nicht.“
Auf der Suche
Wie oft haben wir die Geschichte, in der schönen Sprache der Bibel gestaltet, gehört oder selbst gelesen. In der letzten Zeit ist sie im Zusammenhang mit den Menschen, die aus den Trocken- und Kriegsgebieten Afrikas und Kleinasiens bei uns Zuflucht suchen, oft und oft zitiert worden. Ein Zuhaue zu finden in der unwirtlichen Welt, ist sicher eine Kernaussage der Geschichte. Aber erzählt sie nicht noch viel mehr? Ich habe die Weihnachtsgeschichte immer etwas anders verstanden.
Keine Irrfahrt
In unserer Zeit und Welt gehen wir ganz selbstverständlich vom Prinzip „Ursache – Wirkung“ aus. Wenn ich ein Ziel habe und mich einsetze, dann werde ich es auch erreichen. Aber mal Hand aufs Herz: Ist das Leben wirklich so – „funktioniert“ das so? Wissen Sie noch wie das war, als sie jung waren und Ihren Platz im Leben gesucht haben? Wie oft ging etwas schief, wie oft hat das Leben unsere Pläne über den Haufen geworfen und uns auf einen ganz anderen Weg geführt! Heute steht jeder von uns an einem Platz im Leben – aber ist es auch der, an dem wir uns voll entfalten und das Beste geben können?
Parallelen sehen
Viele von uns stehen aktuell in einer Lebenssituation, die sie sich noch vor einem Jahr kaum vorstellen konnten. Fast jedes Leben ist schwieriger geworden, manche Familien erleben schwere finanzielle Einbußen, andere stehen am Rand ihrer Existenz. Angst macht sich breit. Und hier sehe ich die Parallelen zur Weihnachtsgeschichte. Wie viel Angst wird Josef gehabt haben: „Werde ich eine Unterkunft finden? Wird alles gut gehen? Wird Maria mir verzeihen und mich noch lieben? Wird das Kind gesund sein?...“ Sicher sind ihm diese und andere Gedanken durch den Kopf gegangen. Bestimmt wird er auch zornig gewesen sein, auf die Wirte die ihm die Unterkunft verwehrten und auf sich selbst. Er war eine lange Zeit auf der Suche. Es wurde dunkler und dunkler, die Situation drängender und drängender.
Die Zeit nutzen
So geht es auch uns. Trotz Lockdown steigen die Zahlen der Neuinfektionen. In Großbritannien ist das Virus mutiert und aggressiver geworden. Was jetzt? Aufgeben? Die Hände in den Schoß legen? Man kann sich aufregen über die Politik, die Chinesen, die Maskenpflicht, das eingeschränkte Weihnachten… Oder man kann an Josef und Maria denken: Beide haben nicht aufgegeben, haben sich in der Schwierigkeit gegenseitig gestützt und Kraft gegeben. Haben sich angepasst. Haben gehofft, dass sich eine Lösung findet. Das ist nicht nur äußeres Suchen – das ist auch innere Arbeit: Auf sich allein gestellt, haben sie immer weitergesucht, bis sich schließlich alles zum Guten gewendet hat. Auch wir müssen vorsichtig sein in dieser Weihnachtszeit, müssen unseren Weg finden zwischen unserem Wunsch nach Nähe zu den Lieben und Normalität auf der einen Seite - sowie Distanz und Angst auf der anderen Seite.
Immer gültig
Für mich erzählt die Weihnachtsgeschichte in diesem Jahr davon, wie ein Anstoß von außen kommt, der uns aus unserem Leben reißt. Corona ist wie eine Aufforderung uns innerlich zu bewegen, eine Bestandsaufnahme zu machen, sich zu fragen: „Ist mein Leben das Leben, das ich leben wollte?“ Wenn die Antwort „Nein“ heißt, kann diese Zeit ein Grund sein, sich auf den Weg zu machen, um dem eigenen Leben vielleicht einen neuen, tieferen Sinn zu geben. Der Weg dahin, schwierig und im Dunkeln, wird ein lohnender sein. Vielleicht können Sie diese „Corona-Weihnacht“ nutzen zum Träumen, Hoffen, Nachdenken – eine große Gelegenheit, den inneren Reichtum wiederzufinden. Und sein Leben neu auszurichten. Meine Lieblingsstelle in der Weihnachtsgeschichte ist übrigens die Botschaft des Engels: „Fürchtet euch nicht!“
Text: Verena Wolf
Fotos: Hartmut Wolf