Seit gut einem Jahr arbeitet die Geschichtswerkstatt Miesbach daran, die Zeit des Nationalsozialismus im Landkreis aufzuarbeiten – ein Thema, das manche als heikel empfinden und das doch viele Einblicke in die jüngste Vergangenheit bereithält.
Mut zu schwierigen Themen
„Mein Interesse an Geschichte in ihrem politischen Kontext war schon immer groß“, sagt Lisa Hilbich, die sich des Themas federführend angenommen hat. Die engagierte Journalistin und Redenschreiberin studierte Politikwissenschaften und arbeitete dann in Augsburg, Düsseldorf, Dresden und München. Dass sie immer wieder einmal heiße Eisen anpackt, wie die dringend notwenige Umgestaltung des Marktplatzes, ist für sie selbstverständlich. Und so war es für sie, die sich seit Ende 2023 den SPD-Vorstand in Miesbach mit Bernhard Altmann teilt, auch naheliegend, sich des schwierigen Erbes der NS-Zeit anzunehmen.
Wachsendes Interesse
Seit Oktober 2023 existiert nun die Geschichtswerkstatt, die sich zunächst zum Ziel gesetzt hat, die Ereignisse der Zeit zwischen 1933 und 1945 in Stadt und Landkreis Miesbach zu dokumentieren, den Dialog darüber fördern und ein würdiges Gedenken für die Opfer realisieren. Um diese große Aufgabe zu bewältigen, trifft sich inzwischen regelmäßig eine Gruppe von Interessierten. „Wir sind etwa achtzig Menschen, die der Geschichtswerkstatt lose angehören“, erläutert Lisa Hilbich. „Und immer weitere Interessenten kommen dazu.“ Bei ihrer Arbeit werden die Leute von der Geschichtswerkstatt umfangreich unterstützt. Für fachliche Fragen stehen ausgewiesene Experten zur Seite. Daneben sei man dankbar für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem Katholischen Bildungswerk im Landkreis Miesbach, das organisatorisch und bei Veranstaltungen unterstützt sowie der Evangelischen Gemeinde in Miesbach, wo man sich regelmäßig im Bunten Haus treffen könne, freut sich Lisa Hilbich. Bei der Evangelischen Gemeinde gibt es auch ein gemeinnütziges Spendenkonto, über das für finanzielle Zuwendungen Spendenbescheinigungen ausgestellt werden können.
Eintauchen in die Vergangenheit
Grund für den Zuspruch, den die Miesbacher Geschichtswerkstatt vorzuweisen hat, ist der sichtbare Erfolg ihrer Arbeit. Schon die erste Gedenkfeier – unter dem Titel „Auftakt des Terrors. Miesbach 1933 – die ersten Deportationen ins KZ Dachau““ am 11. April 2024 vor dem Amtsgericht – sorgte für Betroffenheit: Gewidmet war sie den Männern, die genau an diesem Tag vor 91 Jahren in das KZ Dachau verschleppt wurden. Auf 54 Tafeln waren ihre Namen und oft auch Fotos zu sehen: Am 11. April 1933 waren 28 Männer und am 6. Mai weitere 26 Männer deportiert worden. Ihr Schicksal und dass sie oft Monate und Jahre in Haft waren – eine Tatsache, die so sehr eindrücklich der Vergessenheit entrissen wurde.
Mit den Erkenntnissen über diese ersten Deportationen und den Schicksalen der Männer ist derzeit eine Arbeitsgruppe der Geschichtswerkstatt dabei, eine Wanderausstellung zu konzipieren. Diese soll dann im nächsten Jahr an interessierten Schulen im Landkreis gezeigt werden.
Menschliche Schicksale bewahren
Nicht alle Opfer kamen – so wie etwa Ludwig Emmerer – aus Miesbach: Er war Stadtrat vor 1933 und dann wieder nach 1945. Der ganze Landkreis war nach der Machtergreifung von den Nationalsozialisten durchkämmt worden. So wurden Männer unter anderem aus Gmund, Marienstein, Schaftlach, Holzkirchen, Wörnsmühl und Weyarn inhaftiert. Sie waren vorwiegend Kommunisten, denn – wie Lisa Hilbich erklärt: „Sie waren gut organisiert und hatten die wahren Absichten der Nationalsozialisten früh durchschaut.“ Sie wurden in das KZ Dachau gebracht, das knapp drei Wochen vorher von Heinrich Himmler, dem damaligen Politischen Polizeikommissar für Bayern, eröffnet worden war. „Deshalb ist es eine unserer wichtigen Aufgaben, den Opfern ihren Namen und ihnen damit ihre Würde zurückzugeben“, sagt Lisa Hilbich. „Wir wollen möglichst viel authentisches Material sammeln, also Erinnerungen von Angehörigen, Berichte und eventuell auch schriftliche Zeugnisse.“
Schwierige Recherchen über das Schicksal der Opfer
Das Recherchieren in den Archiven und das Sammeln von gesicherten Daten ist eine große Geduldsarbeit. Das gilt auch bei den Euthanasieopfern, einer weiteren Opfergruppe, mit deren Schicksal sich die Geschichtswerkstatt beschäftigt. Eine Arbeitsgruppe um Kick van Walbeek und Christine Meuser hat bereits manches über die Ermordung dieser Menschen zusammengetragen.
„Hier kann man oft nur aus den Sterbeorten rekonstruieren, welches Schicksal sich hinter einem Namen verbirgt. Dann suchen wir gezielt danach, ob es weitere Informationen gibt.“
Auch dem Schicksal von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im Landkreis Miesbach geht die Geschichtswerkstatt nach. Es gab im Landkreis Miesbach 10 Außenlager des KZ Dachau und man weiß von mindestens 34 Außenkommandos, wo Kriegsgefangene Zwangsarbeit leisten mussten. Von ihnen ist noch wenig bekannt.
Daher sei, so Lisa Hilbich, die Frage nach einem angemessenen Gedenken an die Schicksale der Verfolgten und Opfern der Nationalsozialisten immer wieder ein Thema, über das man diskutiere. Es gehe um eine würdige Erinnerung – vor Ort, aber auch landkreisweit. Hier sei man inzwischen in regem Austausch mit Gleichgesinnten.
Wissen für die Zukunft
Doch es ist nicht nur das Bewahren der Vergangenheit, mit dem sich die Mitglieder der Geschichtswerkstatt auseinandersetzen. „Uns liegt auch die Zukunft am Herzen – angesichts des wachsenden Zuspruchs für die rechtspopulistischen Parteien sehen wir viele Gefahren für unsere Freiheit und die Demokratie.“ Wichtig ist den Mitgliedern der Geschichtswerkstatt deshalb, junge Menschen zu informieren und zu sensibilisieren. So waren Reinhard Tschech aus Holzkirchen, der intensiv zu den Deportationen im Landkreis Miesbach forscht, und Lisa Hilbich zu Vorträgen am Gymnasium und an der Realschule in Miesbach eingeladen.
In enger Zusammenarbeit mit dem Katholischen Bildungswerk im Landkreis Miesbach organisierte die Geschichtswerkstatt in den vergangenen Monaten zudem einige Veranstaltungen. So war der Kinderarzt Dr. Thomas Nowotny aus Stephanskirchen im Katholischen Pfarrheim zu Gast, wo er über die Verlegung von Stolpersteinen im Landkreis Rosenheim, und für seine eigene Familie in München, sprach. Mitte Oktober las Julia Gilfert aus ihrem Buch „Ein Himmel voller Schweigen“ und trug Lieder ihres Großvaters Walter Frick, einem Euthanasieopfer, vor. Die junge Künstlerin hat Opfer und Täter in ihrer Familie, deren Spuren auch nach Miesbach reichen.
Dank der engen Zusammenarbeit mit Floko Ziebert und seinem Team vom Hotel Blyb in Gmund, hat sich ein Kontakt zu Katrin Himmler, der Großnichte von Heinrich Himmler (dem zweiten Mann nach Hitler) ergeben. Die Geschichtswerkstatt stellte die Kontakte zur Realschule und dem Gymnasium in Miesbach her, so dass dort kürzlich Katrin Himmler Vorträge über die „Neue Rechte“ und „Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte oder: Wie wurden meine Großeltern Nationalsozialisten?“ halten konnte.
Herzlich willkommen
Es gibt also noch viel zu tun, daher freut sich die Geschichtswerkstatt Miesbach über jede Unterstützung. Wer mitforschen möchte oder noch Informationen und Unterlagen über diese Zeit hat, ist herzlich willkommen.
Momentan ist die Geschichtswerkstatt dabei, sich um Fördermittel zu kümmern, damit die vielfältigen Vorhaben umgesetzt werden können.
Die Gruppe trifft sich jeden 2. Donnerstag im Monat um 19.00 Uhr im Bunten Haus in Miesbach.
Kontakt
Tel.: 0172 - 3 53 12 62
E-Mail: info@geschichtswerkstatt-miesbach.de
Homepage
Spendenkonto
Evang. Kirchengemeinde Miesbach,
IBAN: DE53 7016 9598 0000 0995 11,
Raiffeisenbank im Oberland,
Verwendungszweck „Geschichtswerkstatt Miesbach“
(Jede Summe ist willkommen und erleichtert unsere Arbeit!)