Sicher haben auch Sie schon so manche Minute hier gesessen und den vier wasserspeienden Tiere zugesehen. Aber könnten Sie den Märchenbrunnen zeichnen: das geschwungene Becken, den moosbesetzten Mini-Felsen aus Tuffsteinen in der Mitte und das eiserne Rankengeflecht mit seinen Blättern? Wir sind oft unachtsam den kleinen Dingen gegenüber und so mancher hat nicht einmal den Gänserich mit seinem Krönchen entdeckt…
Seit Kindesbeinen
„Ich bin am Marktplatz aufgewachsen. Meine Familie hat im Bommerhaus gewohnt… Bis heute hat es mir der Märchenbrunnen angetan“, erzählt Ingrid Pongratz. Wie für viele Miesbacher ist auch für die 1. Bürgermeisterin der Stadt der Märchenbrunnen eng mit der Kindheit verbunden: „Auch wenn er damals noch anders aussah – hier haben wir im Sommer gesessen und die Füße ins Wasser baumeln lassen.“ Seit der Umgestaltung 1972 ist der Brunnen für solche Sommervergnügen zu flach und man sieht selten jemanden, der die Beine ins Wasser streckt, aber seine Anziehungskraft hat der Brunnen behalten.
Ein Stück Miesbach
Der Brunnen ist einer der beiden ältesten in der Stadt. Vermutlich gibt es ihn schon länger, als es den Marktplatz gibt… Er begann sein Dasein als öffentliche Wasserstelle, aus der sich die umliegenden Haushalte bedienten. Besonders wichtig war er aber, wenn wieder einmal ein Feuer in Miesbachs Unterstadt ausbrach… Schreckliche Szenen müssen sich bei der großen Feuersbrunst 1783 abgespielt haben. Verzweifelte Menschen haben damals das Wasser aus der Schlierach und den beiden Brunnen geholt, um die Stadt zu retten, die lichterloh brannte. Es hat nichts genutzt. Bis auf das Gürtlerhaus (Stadtplatz 9) und den Himmisepp im Marktwinkl ist an diesem einen Tag alles abgebrannt… Doch man hat aus der Katastrophe gelernt: Nur wenig später ließ Vogteirichter Georg von Obernberg am Marktbrunnen und am Marienplatz ein Wasserreservoir anlegen, die beide bis heute in Betrieb sind.
Unser Brunnen soll schöner werden
Nachdem Miesbach 1905 mit dem Michaelsbrunnen schon den Stadtplatz erfolgreich verschönert hatte, folgte 1920 die Überarbeitung des Brunnens am Marktplatz. Carl Wegele setzte den Brunnen neu – unter Verwendung von vier Tierfiguren des Münchner Bildhauers Georg Römer. Vermutlich gab es bereits damals eine Umfassung mit einer Hecke und Sitzgelegenheiten.
Der Amphibienbrunnen
Römer (oder Roemer), der kurz zuvor aus seiner norddeutschen Heimat nach München gekommen war und sich durch einen kraftvollen Stil auszeichnete, hatte bereits den schlicht-monumentalen Schalenbrunnen, der heute im Hof der Münchner Rückversicherung steht, geschaffen (Königinstr. 107) sowie den Speerträger im Hauptgebäude der LMU. Nun traten fünf Brunnenfiguren aus seiner Werkstatt die Reise nach Miesbach an: der Krebs mit dem verschnörkelten Schild, die stolze Schnecke, der gemütliche Frosch, die schmucke Schildkröte und der Gänserich mit seinem Krönchen… Ein wenig fremd scheinen die Tiere den Miesbachern zunächst gewesen zu sein. Sie nannten den Brunnen „Amphibienbrunnen“, was ebenso zungenbrecherisch wie „preußisch-spitz“ klingt…
Faszination Wasser
1972 erhielt dann Norbert Widmoser den Auftrag, den Brunnen zu modernisieren. Er schuf das Geflecht aus Blättern, das den geheimnisvollen Charakter der alten Brunnenfiguren perfekt ergänzt. Nun kann man gemütlich am Brunnen sitzen und zusehen, wie Wasserstrahlen aus dem Maul der vier Amphibien sprudeln, während der Gänserich, der auf dem verwitterten, schon Moos besetzten Mittelstück thront, zwischen dem Blätterwerk herauslugt.
Im Zuge der schrittweisen Umgestaltung des Marktplatzes erhielt der Brunnen letztes Jahr an einem der Durchgänge einen Zaun. Dadurch ist der Raum um den Brunnen noch geschützter. Und das ist für alle gut, die sich am Brunnen niederlassen – Mütter und Kinder, Jugendliche, Verliebte, Passanten, Touristen… Sie alle haben längst entdeckt, dass es sich am Märchenbrunnen prächtig ausspannen lässt.
Text: Verena Wolf
Foto: Isabella Krobisch