Der Hof der Familie Waldschütz in Miesbach ist nicht nur einer der ältesten im Stadtgebiet. Er ist auch das Zuhause einer Familie mit Zusammengehörigkeitsgefühl.
Ein besonderes Lebensgefühl
Barbara Wank und ich haben heute einen besonderen Termin: Wir treffen uns zum Interview mit Johannes und Anni Waldschütz auf dem Birknerhof. Als ich zum Haus einbiege, wartet die Stadtarchivarin schon am massiven Steintrog neben dem alten Wildrosenbusch.
An der Ecke Tölzer Berg / Ableitnerstraße gelegen, erstreckt sich der Birknerhof, ein nach Osten ausgerichtet Einfirsthof – 1720 in seiner jetzigen Gestalt erbaut – seit nun über 300 Jahren an seinem Platz an der Kante der obersten Schlierachterrasse. Von hier man einen herrlich freien Blick ins Gebirge, ehe die Straße sich hinunter zum Bahnhof windet.
Immer, wenn ich die Auffahrt zu einem unserer großen Bauernhöfe hinauffahre, fühle ich mich, als würde ich geheimnisvolles, privates Territorium betreten. Bestimmt ist es auch kein Zufall, dass man von einem „Hof“ spricht, denn unsere schönen, gepflegten bäuerlichen Anwesen haben, zumindest für mich, tatsächlich etwas Königliches. Es sind eigene Welten, die wie Inseln inmitten von Stress und Hektik unserer Zeit ruhen.
Eine eigene Welt
Zum Birknerhof gehört nicht nur das Haus selbst mit der für Oberbayern typischen klassischen Aufteilung „Scheune-Stall-Melkkammer-Wohnhaus“ – alles unter einem Dach. Es gibt zudem eine moderne Hackschnitzelheizung, ein altes Waschhäusl, Bienenkästen und natürlich die Birknerwiese und den Wald…
Außen wie innen ist der Hof aus Naturmaterialien erbaut. „Die Balken sind jetzt über 300 Jahre alt, sagt Altbauer Johannes Waldschütz, als wir im oberen Stockwerk stehen und die sorgfältig gestrichenen Holzwände bestaunen: „Da ist kein Wurm drin. Die Alten haben noch gewusst, wann man das Holz schlagen und wie man es bearbeiten muss.“
Auch von außen ist der Hof ein Schmuckstück: Der schöne Balkon, die dichten Geranien, das mächtige Tor zum Stall, die Haustür – alles ist gepflegt und atmet echte Liebe zum Bauernstand.
Unten im Gang hängt eine Urkunde des Bauernverbandes aus dem Jahr 1959, auf der die lange Geschichte des Hofes und der Familie bestätigt ist: „Das Bauerngeschlecht Kirschenhofer-Waldschütz ist laut amtlichen Nachweises seit mindestens 1590 in ununterbrochenem Besitz des angestammten Hofes.“ (20. November 1959) An der anderen Wand hängt ein Wappen… Die Familie Waldschütz ist im Oberland weit verzweigt – Verwandte leben noch heute in Irschenberg, Jedling und Thalham.
Alte Geschichten
Der Hof gehörte, so hat es Alexander Langheiter in seiner Chronik herausgefunden, zur Herrschaft Wallenburg. Angeblich soll an der Stelle des Hofes – oder in der Nähe – sogar eine zweite Burg gestanden haben… „Der Hof hieß früher auch zum Burgner“, weiß Johannes Waldschütz noch. „Das hat sich entweder zu „Birkner“ geändert oder der Hof heißt jetzt nach den Birken so…“
Ein wertvolles Erbe also, das Johannes Waldschütz sen. im Jahr 1978 übernommen hat. Da hatte er schon viele Jahre auf dem Hof mitgearbeitet und sich um den Erhalt gekümmert: „Der Papa und die Mama haben 1943 geheiratet… Im Krieg hat die Mama vielen geholfen. Die Leute sind einfach vor der Tür gestanden und hatten Hunger. Einquartierungen hatten wir bis 1950. Dann sind nach und nach alle ausgezogen, weil sie Arbeit gefunden haben: Viele konnten nach Hausham ins Bergwerk gehen oder zu Müller am Baum in die Papierfabrik. 1979 war der Hof stark abgewettert. Ich habe ihn sandstrahlen lassen.“ Seither ist der ursprüngliche Blockbau des Obergeschosses freigelegt, der dem Hof sein erhabenes Aussehen verleiht.
Interessante Kontakte
Johannes Waldschütz hat für uns ein altes Bild herausgesucht, das vermutlich Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts vor dem Hof aufgenommen wurde. Es zeigt eine Gruppe altväterlicher Herren, die es sich auf der Bank vor dem Hof gemütlich gemacht haben. Deutlich sind im Hintergrund die Bilder von Fritz Freund an der Hauswand zu erkennen. Der mit der Familie befreundete Maler lebte in der Villa gegenüber und hatte die Südwand des Hofes mit Szenen aus dem Leben des Hl. Leonhard und mit einer Darstellung des Hl. Florian verschönert. Die heutigen Bilder stammen von Josef Stallhofer: „Sie müssen sich einmal die Ausstellung oben im Staudenhäusl in Agatharied angesehen“ empfiehlt Johannes Waldschütz… „Da hat er die Bürgermeister und viele andere Persönlichkeiten abgebildet.“
Mit der Natur arbeiten
Zum Warm werden reden wir über aktuelle Themen. Der im Berchtesgaden Naturschutzgebiet gesichtete Bär und die Zuwanderung der Wölfe machen den Bauern zu schaffen – vor allem jenen, die Tiere auf den Almen haben. „Da zieht man die Kälbchen mit viel Mühe groß und dann werden sie gefressen oder – was noch schlimmer ist –, sie rennen kopflos davon, stürzen über die Wände und bleiben verletzt liegen…“, erklärt Johannes Waldschütz den Standpunkt von Bauern und Almpersonal. Seine Frau Anni, die einen Kaffee für uns kocht, gibt ihm recht. Dass man auf dem Hof noch bewusst mit der Natur lebt, weiß ich genau, weil ich sehen kann, dass die Familie z.B. immer nur in Streifen Heu macht: „Wir versuchen halt, dass die Kitze noch davonkommen können, wenn wir mit dem Mäher arbeiten“, erklärt Johannes Waldschütz diese Vorsichtsmaßnahme.
Umstrittene Kombinationshaltung
Natürlich ist die Tierhaltung ein großes Thema – immerhin befinden wir uns auf einem Hof mit Milchwirtschaft, der nach Bio-Richtlinien arbeitet und die Milch an Gropper (früher Molkerei Miesbach Milchhof) verkauft – eine Molkerei, die, bio-zertifiziert seit 2007 – in Bissingen ansässig ist. 27 Milchkühe sind die festen Größen im altehrwürdigen Stall. In den dick mit Stroh gepolsterten Boxen dösen drei noch sehr junge Kälbchen… Vater des Nachwuchses ist Stier „Hörbi“, ein Prachtkerl von einem Fleckvieh, der seelenruhig an seinem Heu kaut. „Er ist jetzt zwei Jahre alt und sehr brav“, schmunzelt Johannes Waldschütz. Die Familie hat sich bisher gegen einen Laufstall entschieden und hofft darauf, dass die Kombinationshaltung der Laufstallhaltung gleichgestellt wird. „Beide Landwirtschaftsministerinnen waren schon persönlich auf dem Hof“, erzählt Anni Waldschütz, die sich nun zu uns setzt. „Michaela Kaniber und Svenja Schulze“. Ich persönlich stehe da ganz auf Seiten der Birkner-Bauern – wie zufrieden rupfen doch die Kühe das frische Gras, wenn sie im Sommer im hellen Sonnenschein über die Wiese ziehen, unter den Schutzbäumen lagern und überhaupt draußen so viel Platz haben, wie man sich nur wünschen kann. Eine, wie mir persönlich scheint, eher artgerechte Haltung, doch keiner weiß, was die EU entscheiden wird…
Die Umstrukturierung der Stadt
Die Zukunft der bäuerlichen Landwirtschaft beschäftigt Anni und Johannes sehr. Als Johannes Waldschütz und Barbara Wank, beide „alte“ Miesbacher, aufzählen, wer noch zu Beginn der 1960er Jahre in Miesbach eine Landwirtschaft betrieb oder zumindest ein paar Kühe für die Selbstversorgung hielt, wird der Schwund mit Händen greifbar: „Bis in die Haidmühl hinaus gab es kleine Höfe und die Menschen waren mit einem Krautgarten Selbstversorger. Also drei oder vier Kühe hatte eigentlich jeder.“ Heute sind viele ehemalige Wiesen bebaut und in den Gärten wachsen Blumen, die zwar schön anzusehen sind, aber selten wenigstens Nektar für die Bienen bieten.
Auch, dass die Pferde heute aus der Landwirtschaft und aus dem Ortsbild verschwunden sind, ist ein Thema. „Nach dem Krieg haben die Amerikaner ihre Pferde einfach freilaufen lassen – wie im Wilden Westen. Wir haben zwei eingefangen und sie Fanni und Bläss genannt. Der Bläss war immer nervös, wenn es irgendwo gekracht hat. Wahrscheinlich eine Erinnerung an die Schüsse im Krieg. Noch in den 60er Jahren habe ich mit ihnen im Winter auf dem Friedhof Schnee geräumt.“
Waches Interesse
Wir kommen auf die Zukunft des Hofes zu sprechen, denn Anni und Johannes Waldschütz haben gut vorgesorgt. Als sie den Hof 2005 übergeben haben, war die eigene Wirtschaft topp in Schuss. Klug und wohl überlegt hat Sohn Johann Waldschütz Junior inzwischen weitere Wiesen dazu gepachtet. Mir scheint, dass Johannes Waldschütz jedes Stückchen Grund in und um Miesbach mit Namen kennt: „Das muss schon sein, dass ich da alles kenne“, wundert er sich über mein Staunen, „schließlich müssen wir das alles bewirtschaften und sollten die Grenzen genau kennen.“
Man muss ihm und Anni nur eine Weile zuhören, dann weiß man schon, dass beide sich gut auskennen – nicht nur in der Stadt und im Leben. Kein Wunder, dass sie, sobald es möglich war, gereist sind. Wir haben viele Busreisen gemacht mit den Wieser Bäuerinnen und dem WEDAM erinnern sie sich gerne. Im Grund haben sie ganz Deutschland bereist, sind von Bayern nach Helgoland gefahren und dabei hat es ihnen die Nord- und Ostsee besonders angetan, aber auch in der Schweiz, Österreich und Südtirol haben sie sich wohlgefühlt.
Eine große Familie
Die beiden sind 49 Jahre verheiratet. An der Wand in der gemütlichen Küche hängt das Hochzeitsfoto, auf dem beide – Anni im blumengeschmückten Schalk – überaus fesch aussehen. Das Paar hat sich beim Tanzen kennengelernt. „Früher ist man zum Tanzen gegangen. Das war eine schöne Zeit. Alles hatte einfach mehr Ruhe,“ sind sich beide einig. Anni Waldschütz stammt aus Kematen und ist ihrer Familie und ihrer Heimatgemeinde verbunden geblieben. „Wir in der Familie halten zusammen“, pflichtet auch Johannes Waldschütz bei, „ich helfe bis heute meinem Bruder, der einen Hof am Kreuzberg hat.“ Sie haben nicht nur drei Kindern großgezogen, sondern sich auch um die drei kleinen Enkelkinder gekümmert, als die Mutter viel zu früh verstarb. „Der Hansi hätte das allein gar nicht schaffen können“, sind sich die beiden einig. Froh sind alle darüber, dass mit Andrea eine Frau auf den Hof gekommen ist, die nicht nur tüchtig ist, sondern sich auch der drei Kinder so liebevoll annimmt.
Das Leben geht weiter
„Unser Sohn, der Johann Junior – Hansi – hat drei Kinder. Der Sebastian ist Automechaniker und Quirin, der Jüngste lernt Zimmerer“, sagt Anni Waldschütz, die sichtlich stolz auf die beiden ist. Aber dass die hübsche, großgewachsene Marlene im Café Mesner in die Lehre geht, ist ihr doch eine besondere Freude. „Sie wird Konditorin“, sagt Anni und stellt selbst eine herrlich Biskuitroulade, die sie extra für uns gebacken hat, auf den Tisch. In der Behaglichkeit der Küche und umgeben von so viel Gastfreundschaft kann man sich nur wohlfühlen, und so gleitet das Gespräch über die Veränderungen in Miesbach zum Lauf der Welt.
Ein bisschen Birkner für alle
Barbara Wank und ich erfahren viele Schicksale, hören lustige und traurige Geschichten und erleben eine ruhige, besonnene Art, mit dem Leben umzugehen: „Man muss aussuchen, was man mitmachen will“, ist einer der Sätze, die Johannes Waldschütz sagt. Sohn Hansi hat sich zum Beispiel schon früh für das Einrichten einer Milchtankstelle in der Melkkammer entschieden. Dafür sind seine erste Frau Anneliese und er bis nach Südtirol gefahren, um den Kunden eine Anlage zu bieten, die besonders gut funktioniert. Wer also Lust hat, ein wenig Birkner-Luft zu schnuppern, nimmt einfach seine Milchkanne und macht sich auf den Weg. Für 50 Cent gibt es die kleine Menge (ca. 500 ml) und für 1 Euro die große (ca. 1 Liter). Das ist ein Liter frische Milch von Kühen, die mit viel Liebe und Sorgfalt gehalten werden.
Zum Weiterlesen
Langheiter, Alexander: „900 Jahre Miesbach, Chronik und Kulturführer“, Maurus Verlag Miesbach