Jägerkamp-Schliersee, © Ludwig Watteler
Schlierseespitz-Schliersee, © Ludwig Watteler

Begegnungen mit der Unendlichkeit

Dass Gipfelkreuze viel mehr sind als zwei gekreuzte Balken auf einem Berggipfel – das kann man in der aktuellen Ausstellung im Waitzinger Keller staunend entdecken.

 

Höhere Gewalten

Wer den Abend des 30. Juni bewusst miterlebt hat, wird sich sicher noch an die dunkle Gewitterwand erinnern, die bedrohlich über Miesbach stand und sich um 19.00 Uhr in einem sintflutartigen Regen entlud. Während draußen die Natur mit Donner und Blitz ihre Kräfte entfaltete, hatte sich im Foyer Ost des Waitzinger Kellers eine Gruppe erwartungsvoller Menschen versammelt. Man war zur Vernissage „Gipfelkreuze.Verbindung zwischen Himmel und Erde“ gekommen. Und erlebte nichts weniger als einen der Momente, in denen ein Künstler uns staunen macht und uns auf seine Weise in Kontakt mit Wind und Wetter und höheren Gewalten bringt.

 

Alles nur Zufall?

Schon im Treppenaufgang empfängt den Besucher eine Auswahl ungewöhnlich rein und stilsicher wirkender Fotos in Schwarzweiß. Schnell wird klar, dass sich der Fotograf einem einzigen Sujet verschrieben hat. Ludwig Watteler ist im Rheinland geboren, an der Folkwangschule in Essen ausgebildet und hat sein Berufsleben als gefragter Fotograf gestaltet. Seine Liebe und Leidenschaft jedoch gelten den alpinen Gipfelkreuzen. So begrenzt das Motiv – ein Kreuz zwischen Himmel und Erde – zunächst klingen mag, Watteler eröffnet einen ganzen Kosmos: Er sagt selbst: „Es war am Silvestertag 2006 unter dem Gipfelkreuz auf der Brecherspitz.“ Unabsichtlich dreht Watteler den Kopf nach links oben. „Und da schlug es wie geistiger Blitz ein“, wundert er sich noch immer über das, was ihm da widerfahren ist. In diesem Moment war er jedoch nur fasziniert. Er bastelte schnell ein Stativ aus seinem Rucksack und drückte auf den Auslöser der Kamera, die er immer bei sich trägt.

 

Den Kreuzen auf der Spur


Seither hat Ludwig Watteler auf seinen Bergtouren, die er meist in Begleitung seiner Frau unternimmt, ungezählte Berggipfel erklommen. Wer liest, wo die Aufnahmen entstanden sind, begreift, wie viel Zeit sich Watteler nimmt, um die Alpen auf der Suche nach seinen „Kreuzmomenten“ zu durchstreifen: Südtirol, Tirol, Bayern, Kärnten, Steiermark, Allgäu. Er war in den Kitzbühler Alpen, im Karwendel, im Ötztal, in den Dolomiten, im Trentino… So sind die Aufnahmen keine Gentleman-Fotos aus dem Studio. Watteler hat für sie Strapazen auf sich genommen, hat geschwitzt und gefroren und seinen Rucksack geschleppt… Trotzdem ist er kein „Jäger“. „Dass ich bewusst losgehe, um ein Kreuz zu fotografieren ist selten“, erzählt er. „Ich lasse mich auf das ein, was auf der Wanderung geschieht. Ich beobachte Tiere, erlebe das Wetter mit all seinen Launen, kämpfe mit dem Aufstieg und dann irgendwann kommt der Moment, in dem ich das Kreuz zum ersten Mal sehe.“

 

Dankbarkeit

Diesen Moment, an dem man das Gipfelkreuz beim Anstieg zum Gipfel zum ersten Mal erblickt, kennt jeder Bergfreund. Auch Gerhard Braunmiller, selbst ein begeisterter Bergwanderer, sagte in seiner Eröffnungsansprache: „Es ist einfach immer ein besonderer Moment, vor dem Gipfelkreuz zu stehen.“

Dass Ludwig Watteler überhaupt ein gutes Gespür für‘s Besondere hat, bewies er dann in seiner Begrüßung, in der man einen aufmerksamen und bescheidenen Mann erlebte: Er dankte, fühlbar bewegt, dem Waitzinger Keller Team für die rasche und professionelle Realisierung der Ausstellung und freute sich auch über die Anordnung seiner Bilder: „So etwas habe ich noch nie erlebt, da kommt jedes Foto super zur Wirkung – und man hat zudem den Blick aufs Ganze.“

 

Auf Entdeckungsreise gehen

Dank der Expertise und des Einfühlungsvermögens der Techniker im Waitzinger Keller ist es ein großes Vergnügen, die Ausstellung zu besuchen und sich mit den Bildern zu beschäftigen. Watteler hat eine unglaubliche Fülle an Kreuzen gefunden – und er hat jedes einzelne im wahrsten Sinn des Wortes porträtiert. Da gibt es Kreuze, die sich winzig auf einem fernen Berggipfel zeigen, andere füllen, monumentalen Holzriesen gleich, das ganze Foto aus. Mit diesen Kontrasten zu spielen, ist der Mannschaft, die die Bilder gehängt hat, wunderbar gelungen. So gibt es zum Beispiel ein Foto, das auf den ersten Blick wie ein leeres Blatt Papier aussieht. Geht man näher heran, offenbart sich die weiße Wand als dichtester Nebel – in ihn hinein ragt zart und fein das Kreuz am unteren Bildrand. Diesem herrlich verwunschenen Motiv direkt gegenüber hängt ein Foto, zu dem Watteler eine Geschichte erzählt: „Das ist ein Metallkreuz, in dem Lichtdioden verarbeitet sind. Es war Abend und ich hatte schon ein paar Aufnahmen gemacht, auf denen das Kreuz vor dem schönen Abendhimmel leuchtet. Dann beim Abstieg, drehe ich mich noch einmal um – und sehe dieses Motiv – zwei gekreuzte Flammenschwerter vor tiefstem Schwarz“.

 

Vergängliches für immer festgehalten

Über 100 Motive hat Watteler digital fotografiert und im Labor – wie früher – von Hand fein „geschliffen“. Das Werk, das dabei entstanden ist, kann der Betrachter nun mit eigenen Augen sehen. Alois Bierl, der feinfühlige Journalist aus München, hat es in seiner klugen Laudatio so beschrieben: „Obwohl die Gipfelkreuze fest und unveränderlich dazustehen scheinen, sind sie von vergänglichen Augenblicken umgeben: ein Lichteinfall, der nicht wiederkehrt, anhaftender Schnee, der gleich wieder wegschmilzt, ein kurz sich lichtender Nebel. Halb ist es der künstlerische, halb der mystische Moment, der [Watteler] dabei in Bann schlägt.“

Das ist wunderbar beobachtet und trifft etwas Wesentliches. Die Kreuze – aus Holz, aus Stahl, aus Eisen oder Glas, groß oder klein, künstlerisch gearbeitet oder schlicht – scheinen auf den Fotografen gewartet zu haben. Watteler selbst erzählte im Interview: „Mir geht es oft so, dass ich denke, das Kreuz hat mich erwartet. Ich fühle mich von ihm angenommen.“

 

Dem Geist Raum geben

Denn natürlich ist ein Gipfelkreuz viel mehr als ein Kreuz auf einem Berggipfel. Kreuze haben eine spirituelle Dimension, sind sie doch per se Symbole der Ewigkeit. Ihre rudimentäre Geometrie – dem menschlichen Körper nachempfunden –, schafft eine ursprüngliche Identifikation, der man sich entziehen kann, aber nicht muss: Wer sich auf die Kraft des Kreuzes einlässt, wer dort oben oder beim Betrachten der Fotos Herz und Sinne öffnet, erfährt immer wieder das Gefühl, dass es am Ende weitergeht. Das ist wohl die innerste Wahrheit der Kreuze, die hoch oben über der Welt unsere Blicke auf sich ziehen und unsere Gedanken und Gefühle hinaus in weite Fernen und andere Dimensionen lenken. Eine innere Reise, die zur Ausstellungseröffnung auch Harfenistin Stefanie Polifka inspirierte. Ihr wie immer mitreißendes Spiel spannte den Bogen von alpenländischer Bodenständigkeit bis zu himmlischer Sphärenmusik – eine bessere Stimme hätte man den vielfältigen und geheimnisvoll-mystischen Gipfelkreuzen nicht geben können.

 

Die Ausstellung ist noch bis Freitag, 29. Juli zu den üblichen Öffnungszeiten im Waitzinger Keller Foyer Ost zu sehen. Der Eintritt ist frei. Ausführliches Begleitmaterial, Kontaktdaten und eine Preisliste liegen aus.

 

www.gipfelkreuze.myportfolio.com

 

Text: Verena Wolf
Fotos: Ludwig Watteler, Isabella Krobisch

Impressionen

Aiplspitze-Schliersee, © Ludwig Watteler
Aiplspitze-Schliersee

© Ludwig Watteler

Brecherspitze-Schliersee, © Ludwig Watteler
Brecherspitze-Schliersee

© Ludwig Watteler

Schlier, Braunmiller, Watteler, Bierl, © Isabella Krobisch
Schlier, Braunmiller, Watteler, Bierl

© Isabella Krobisch

Watteler, Bierl, © Isabella Krobisch
Watteler, Bierl

© Isabella Krobisch